Bei einer Lesung in Frankfurt Anfang Juni fragte mich die Moderatorin, warum Resi – die Protagonistin meines Romans ‚Schäfchen im Trockenen‘ und als Schriftstellerin tätig wie ich – eigentlich stets so betone, dass sie ‚Schriftstellerin von Beruf‘ sei. Ob das was anderes wäre als einfach nur Schriftstellerin?
Puh, dachte ich, ja, gute Frage. Im Grunde einer der Kernpunkte des gesamten Romans. Warum hatte mich bisher noch niemand darauf angesprochen? Ich suchte also nach einer Antwort und meinte dann, dass der Roman von Geld sowie Statusfragen handelt, und deshalb auch von der Frage, ob Schreiben überhaupt ein Beruf sei. Also etwas, womit man zum einen Geld verdienen kann, es zum andern aber auch verdient hat, welches zu verdienen. Also eine Tätigkeit, die die Gesellschaft braucht.
Genau so wie sie Landwirte und Ärzte und Heizungsinstallateure braucht, weshalb es gut und dankens- und auch Geld wert ist, wenn jemand diesen Job übernimmt. Oder – um das jetzt auch noch mal als Idee in den Raum zu stellen – das Schreiben am Ende doch nur ein hübsches, im Grunde aber überflüssiges Hobby darstellt, wofür es anmaßend ist, auch noch Geld zu verlangen.
Für Resi im Roman stellt sich die Frage deshalb so dringend, weil sie mit einem Mal deutlich mehr Geld braucht, als sie mit Schreiben verdient. Zum zweiten aber auch deshalb, weil sie mit dem, was sie schreibt, ziemlich aneckt.
Und so, wie die Bauern die Massentierhaltung damit rechtfertigen, dass die Leute aber durchaus jeden Tag Fleisch essen wollen, will Resi ihr Schreiben gerne damit rechtfertigen, dass die Leute aber schließlich was Interessantes lesen wollen. Also bitte. Soll’n sie froh sein, dass jemand sich die Finger schmutzig macht.
Ich hatte beim Schreiben von ‚Schäfchen im Trockenen‘ bereits ziemlich Sorge, ob es klug ist, einen Roman, der von Klassismus handeln soll, anhand einer Protagonistin zu erzählen, die im Literaturbetrieb arbeitet. Eben weil die Frage, ob es überhaupt notwendig ist, dass irgendwer das tut, schon die erste sein könnte, bei der dieses Vorhaben steckenbleibt.
Und tatsächlich bin ich dann auch häufig mit der Ansicht konfrontiert worden, dass ich wohl besser eine hart arbeitende Erzieherin oder Krankenschwester oder sonst eine zu Unrecht unterbezahlte Frau in einem echten, abgehängten Elendsviertel und mit einem echten, eindeutig notwendigen Beruf hätte in den Mittelpunkt des Romans stellen sollen – statt eine auf hohem Niveau jammernde Luxuskreative.
Bei einer Lesung in Potsdam Ende Mai meinte ein Zuhörer, warum Resi denn nicht einfach Lehrerin geworden sei. Lehrer sei ein ehrenwerter Beruf, werde immer und zur Zeit besonders dringend gebraucht, und eine Familie könne man mit dem, was man dabei verdiene, auch gut ernähren. Eine Lehrerin im Publikum erwiderte darauf, dass es seltsam sei, dass alle Welt glaube, es sei so schön und bequem, Lehrerin zu sein. Und dass jeder und jede das einfach so könne. Der Mann, der es vorgeschlagen hatte, bekam trotzdem noch einigen Beistand von anderen Leuten aus dem Publikum, und hätte man nach der Diskussion abgestimmt, wäre, schätze ich, die Mehrheit dafür gewesen, dass Resi doch wirklich besser Lehrerin geworden sei.
Mein zaghafter Einwand, dass ich sie schon bewusst als Schriftstellerin konzipiert hätte, wurde mit der Bemerkung „Gut, dann ist sie aber auch selbst schuld“ vom Tisch gewischt.
Mein zaghafter Hinweis, dass die Floskel „Selbst schuld“ doch ein tragendes und extrem ausgebautes Motiv des Romans darstelle – tatsächlich hatte ich aus dem Kapitel, das mit dieser Floskel überschrieben ist, vorgelesen – wurde achselzuckend zur Kenntnis genommen.
Lesungen sind toll. Nicht nur, weil man als Schriftstellerin damit Geld verdienen kann, man lernt auch wirklich sehr viel.
Man lernt was über den Text, den man vorstellt – mir war zum Beispiel gar nicht bewusst gewesen, dass Resi dieses „von Beruf“ tatsächlich mehrfach betont.
Man lernt, dass auch ein bewusst ausgebautes Motiv nicht zwingend als solches wahr- und ernstgenommen wird.
Man lernt was über diverse Lesarten und allgemein gültige Glaubenssätze, über Gruppen- und Diskussionsdynamik; man kann spielen, man sei Lehrerin – was tatsächlich nichts ist, das jeder und jede einfach so kann. Ich zum Beispiel eher nicht.
Man kann üben, Schriftstellerin zu sein. Eine, die geliebt und gefeiert wird – oder eine, die in Frage gestellt und korrigiert wird. Die vielleicht besser hätte Lehrerin werden sollen, aber jetzt eben auch weiß, dass das sicher kein Ausweg für sie gewesen wäre: wenn sie noch nicht mal ein Lesungspublikum im Griff behalten kann.
Landwirte sind übrigens auch extrem angreifbar. Ich weiß das, weil ich einen im Bekanntenkreis habe. Er ist wütend auf Städter, Ökos und Tierschützer. Er verteidigt verbissen seine Subventionierung. Er lässt sich nicht gern reinreden von Leuten, die keine Ahnung haben – muss er aber, weil einfach jeder und jede einen Bauernhof im Kopf hat, wie er und sie ihn sich so wünscht.
Ich habe diesen Bekannten noch nie sagen hören, er sei ‚Landwirt von Beruf‘, aber ich könnte es ihm raten, weil, wie ich jetzt weiß, damit mehreres auf einmal gesagt ist: Ich hab verdient, damit Geld zu verdienen. Ich mach das nicht zum Spaß, ich mach das auch für euch. Sagt ihr mir nicht, wie ich’s zu machen habe, denn euer Zugang dazu und eure Vorstellung davon sind begrenzt.
Er erholt sich, indem er sich mit seinesgleichen zusammensetzt. Sich im Bauernverband engagiert. Noch einen Stall anbaut und noch einen, der größte und modernste und reichste Bauer der Umgebung wird – dann spricht der Erfolg nämlich für sich.
Was einen aber offenbar auch nicht rettet. Ich dachte ja, ich säße inzwischen wirklich fett drin. Und dann Potsdam!
Und ich hab das durchaus ernst gemeint: Ich finde gut, wenn man was lernt. Weil: hinterher ist man schlauer.
Aber währenddessen ist es schon auch ziemlich anstrengend.
Wie konnten mir meine Autorität, mein mithilfe von Resi erarbeitetes Selbstverständnis als Schriftstellerin so rasch abhanden kommen? Warum nützten mir weder Auszeichnungen noch Verkaufserfolg?
Sie wollten mir einfach nicht folgen. Am Schluss meinte eine ältere Dame tröstend, dass ich vielleicht beim nächsten Buch mal einen Lektor heranziehen sollte. Das sei hilfreich, um klarer herauszuarbeiten, worum es einem eigentlich geht.
Gleichzeitig war diese anstrengende Erfahrung aber eben auch äußerst ermutigend.
Der Praxistest hatte bewiesen, dass es richtig gewesen war, Resi Schriftstellerin sein zu lassen. Der Common Sense im Potsdamer Publikum hatte Resis Verunsicherung, ihr Gefühl, selbst schuld zu sein, die Fragilität ihres Status’ und die Fragwürdigkeit ihres Dagegenredens vollauf bestätigt! Sie konnte offenbar wirklich nicht darauf vertrauen, dass die Allgemeinheit der Ansicht war, Schriftstellerin sei ein Beruf wie Lehrerin oder Landwirt. Sie hatte sich nicht nur eingebildet, dass viele Leute davon ausgingen, man müsse sich das schon leisten können: Schriftstellerin zu sein.
Genau das hatte ich doch gewollt. Dass die Klassenfrage aufkam. Die Frage, wer sich was leisten kann. Wer was von Vornherein verkörpert und wer mühselig immer wieder von vorne anfängt.
Vielleicht nicht derart live – indem eine ältere Dame mir begütigend zuspricht – aber hey, this is performance. Let it go, let it speak for itself!
Dass genau das das Wesen von Kunst ist, muss ich mir selbst auch immer wieder klarmachen. Ich werfe eine Geschichte, Figuren, meine Art, die Welt zu erleben, in den Ring – was daraus folgt und wie es verstanden wird, entzieht sich meiner Kontrolle.
Klar ist es toll, wenn’s auf jemanden trifft, der genau das darin sieht, was man selbst meint, damit gemeint zu haben. Aber so, wie es noch ein bisschen toller ist, wenn jemand noch mehr darin sieht – auch etwas, von dem man nicht wusste, dass es überhaupt drinsteht – ist es auch toll, wenn sich einfach nur die Frage oder Unverständnis oder Befremdetsein breitmachen. Nicht so leicht auszuhalten. Dafür Stoff für den nächsten Roman.
Oder zumindest für diese Keynote.
In der ich sagen möchte:
Die Gesellschaft braucht Literatur.
Die Gesellschaft braucht Literaturveranstaltungen.
Die Kunst kann es sich nicht leisten, nur von denen gemacht zu werden, die es sich leisten können.
Die Kunst hat keinen Preis und keinen kontrollierbaren Wert. Wie auch, wo sie doch noch nicht mal ein kontrollierbares Rezeptionsergebnis hat!
Und das ist gut, das muss genau so sein. Darin zeigt sich überhaupt erst ihr Wesen.
Anke Stelling