Nichts ist erledigt: 11 Punkte für eine neue Förderpolitik:
Bereits im November 2012 hat die Koalition der Freien Szene den Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses ein detailliertes 10‐Punkte‐Programm vorgelegt. Dieses 10‐Punkte‐Programm wurde seitdem kontinuierlich aktualisiert und auf den Bedarf der Szene abgestimmt. Bereits in den Doppelthaushalt 2012/2013 haben die Forderungunen nach Förderung von Wiederaufnahmen und nach Drittmittel Eingang gefunden, – beide Instrumente tatsächlich auch spartenübergreifend. In den Doppelthaushalt 2016/2017 wurden weitere Grundsatzforderungen der Koalition der Freien Szene aufgenommen: Honoraruntergrenzen in geförderten Projekten sind nun keine ideelle Forderung mehr, sondern Vorgaben für staatliche Förderung. Ebenso hat Berlin als erstes Bundesland Ausstellungshonorare in öffentlich geförderten Präsentationsorten eingeführt. Nichts davon gilt aber spartenübergreifend. Daher: Nichts ist erledigt!
Um die erreichten Erfolge zu berücksichtigen wurde das 10 Punke Programm seit Sommer 2016 komplett überarbeitet und am 08. Juni und 28. November 2016 in dem Plenumssitzungen mit der Szene besprochen. Dazwischen wurden die Spartenverbände in die Arbeit eingebunden, sodaß nun ein neues, ein 11-Punkte-Programm vorliegt.
Das 11‐Punkte‐Programm enthält durchgerechnete und aufeinander abgestimmte Forderungen, mit denen neue, der tatsächlichen künstlerischen Praxis entsprechende und vor allem nachhaltig wirkende Förderinstrumente finanziert werden sollen.
Die derzeitig höchst prekären Arbeitsbedingungen Berliner freier KünstlerInnen und Kultur‐ produzentInnen erzwingen fast durchgängig Selbstausbeutung. Vor dem Hintergrund rasant steigender Lebenshaltungskosten stellt dies einen immer stärker werdenden Verdrängungsfaktor dar. Zugleich sind durch die anhaltende Unterfinanzierung Professionalität und Qualität der Künste gefährdet. Mindeststandards bei der Honorierung künstlerischer Arbeit sind spartenübergreifend notwendig.
2015 wurden durch den AK Räume der Koalition der Freien Szene im Dialog mit der Kulturverwaltung differenzierte Forderungen an eine neue Liegenschaftspolitik, darunter drei Raumförderlinien, entwickelt, die auf die dringend erforderliche und nur mit politischem Willen durchsetzbare langfristige Sicherung von künstlerischen Produktions‐ und Präsentationsorten zielen.
Die Freie Szene fordert:
1) 100% der Einnahmen aus der City Tax für Kultur, mindestens 50% für die freie Szene
Kunst ist wichtig für Berlin. Doch noch immer ist die Berliner Kunstszene bei weitem nicht so finanziert, dass Berlins Künstler*innen auskömmlich leben und professionell arbeiten können. Die City Tax bietet eine Chance, das zu ändern.
2) Kunst ist keine Dienstleistung! – Für die Zweckfreiheit von Kunst
Die Kunst muss sich weder durch politische noch ökonomische Verwertbarkeit rechtfertigen. Die hohe Bedeutung von Kunst für Bildung, Soziales und Tourismus, darf nicht in Umkehrung dazu führen, Kunst als zweckgebundene Leistung zu sehen und Aufgaben des Bildungs-, Sozial- und Tourismussektors aus dem Kulturetat zu finanzieren. Kreativwirtschaft, Tourismusförderung, Bildungs- und Sozialaufgaben sind keine Aufgaben der Kulturpolitik.
3) Honoraruntergrenzen / Ausstellungshonorare in allen Sparten
Für alle Förderinstrumente der Kunst- und Kulturförderung in Berlin müssen verbindliche Rahmenbedingungen und Richtwerte für Honorare zur Vorbereitung, Produktion und Präsentation erarbeitet werden. Das ganze Spektrum der Tätigkeiten, die für die künstlerische Praxis erforderlich sind inklusive Vorbereitung, Produktion, Präsentation, muss dabei erfasst werden. Dazu zählen auch kuratorische und organisatorische Tätigkeiten, Probenhonorare in allen Sparten sowie Ausstellungshonorare für Künstler*innen in allen aus Landesmitteln geförderten Institutionen und Projekten, unabhängig vom Wohnsitz der Projektbeteiligten. Die verbindlichen Rahmenbedingungen und Richtwerte für Honorare dürfen nicht zu Lasten der Anzahl der Projekte oder der Ausstattung laufender Projekte umgesetzt werden.
4) Bezahlbare Orte und Räume für die Kunst
Bezahlbare Orte und Räume für die Produktion und Präsentation von Kunst müssen erhalten bleiben und neu erschlossen werden. Insbesondere der Verdrängung von Kunst-Orten aus dem Innenstadtbereich muss entgegengewirkt werden.
Wir fordern Transparenz und ein Mitspracherecht beim Umgang von Liegenschaften des Bundes, des Landes sowie von Gesellschaften des Bundes und Landes.
Die Sicherung und der bedarfsgerechte Ausbau der kulturellen und künstlerischen Infrastruktur müssen zu wichtigen Zielen der Stadtentwicklungs- und Baupolitik in Berlin werden. Sie sind in allen Planungen und baulichen Fördermaßnahmen zu berücksichtigen. Zugleich werden Sonderwohnformen für Künstler*innen, die Raum für künstlerisches Arbeiten mit Wohnraum verbinden, regelmäßig anteilig Bestandteil der Berliner Wohnungsbauförderung.
Wir fordern bedarfsgerechte spartenspezifische konsumptive Raumprogramme zum Ausbau und zur dringend notwendigen Neuerschließung von räumlicher Infrastruktur. Diese sollen neu oder weiterentwickelt werden und müssen sich an den unterschiedlichen räumlichen, technischen und organisatorischen Bedarfen der einzelnen Kunstsparten orientieren.
Wir fordern den Auf- und Ausbau von Selbstverwaltungsstrukturen.
5) Faire und transparente Juryprozesse
Für die Berufung und Evaluation von Jurys sowie für den Jurierungsprozess selbst müssen in Zusammenarbeit mit der freien Szene verbindliche Verfahren und Kriterien erarbeitet werden. Jurymitglieder müssen angemessen honoriert werden. Zur honorierten Jurytätigkeit gehört Erstellung eines Jurykommentares. Kulturpolitische Empfehlungen der Jury sind ernst zu nehmen.
Die Durchführung von Informationsveranstaltungen muss vor jeder Antragsfrist sichergestellt sein. Wir empfehlen die Durchführung von Jury-Briefings, wie es nun erstmals zwischen der Jury für die Spartenübergreifende Förderung und der Koalition der freien Szene statt gefunden hat.
Eine zusätzliche öffentliche Informationsveranstaltung sollte nach der Neubesetzung der Jury durchgeführt werden und kann auch der Information der Jury dienen.
Wir fordern darüber hinaus mehr Transparenz in der Juryentscheidung und dessen Kommunikation in die Szene. Eine Überlegung dazu ist, eine sogenannte Jurysprecher*in zu berufen, die auch dauerhaft als Ansprechpartner*in für die Szene zur Verfügung steht.
Transparent und öffentlich online zugänglich müssen sein:
– Die verständliche Darstellung der Entscheidungskriterien, ihrer Gewichtung und des Verfahrens der Entscheidungsfindung. Dazu gehören auch die Anforderungen an die Jury von politischer Seite und von Seite der Verwaltung
– Die verständliche Darstellung von Berufungsverfahren, Kriterien der Berufung und Funktionen der Jury
– Gewährleistung der inter- und transdisziplinären Perspektive: In jeder Förderjury müssen neben spartengebundenen auch inter- und transdisziplinär arbeitende Künstler*innen und Sachverständige vertreten sein. Alle antragsberechtigten Kunstformen müssen in den zuständigen Jurys entsprechend vertreten sein.
– Die Jurys sollen heterogen besetzt sein: Künstler*innen, Menschen, die in der freien Szene arbeiten, und Menschen, die, die freie Szene fachlich begleiten.
– Diversität muss sich in den Jurybesetzungen abbilden. Die Jurys müssen Gesichtspunkte der demographischen Entwicklungen sowie Gender- und Diversity-Fragen berücksichtigen.
6) Stärkung von künstlerischen Selbstverwaltungsstrukturen
Sämtliche Kunstsparten müssen Unterstützung erhalten, ihren Künstler*innen in gemeinnütziger Selbstverwaltung und kooperativen Initiativen ein Basisangebot an materieller und immaterieller Infrastruktur bereitzustellen, wie z.B. Infrastruktur für Informationsaustausch, Weiterbildung, Werkstätten und Ressourcen-Bündelung.
Je nach Bedarf müssen Beratungs- und Geschäftsstellen eingerichtet werden können und eine administrative, inhaltliche und redaktionelle Basis für Projekte und Projektentwicklung geschaffen werden.
Die kulturpolitische Unabhängigkeit ist zu bewahren.
7) Verbindliche partizipative Prozesse bei kulturpolitischen Entscheidungen
Teilhabe kann nur entstehen, wenn sie auf Augenhöhe erfolgt. Diese ist aber erst dann hergestellt, wenn zwischen allen Beteiligten mit Aufnahme des Prozesses verbindlich Einigkeit über Ziele, Methoden und den Zeitplan besteht.
Die Beteiligten des Prozesses kulturpolitischer Entscheidungen sollten die Exekutive, die Legislative und die organisierte und informierte Bürgergesellschaft sein.
8) Verbesserung des Fördersystems und der Förderinstrumente
Das Fördersystem soll in seiner Gesamtkonstruktion die Kontinuität von Arbeitsbiographien sicherstellen.
Die Vielfalt der künstlerischen Positionen der Berliner Kunstproduktion macht ein differenziertes Fördersystem notwendig, das sowohl spartenspezifisches Arbeiten erlaubt, als auch ein Arbeiten in den Übergängen. Daher stehen folgende Schritte im Fokus:
– Einrichtung genuin transdisziplinärer und interdisziplinärer Fördertöpfe, insbesondere für die künstlerische Grundlagenforschung
– Systematisierung des Fördersystems in Zusammenarbeit mit der freien Kunstszene
– Aufstockung der Förderung von künstlerischer und kuratorischer Recherche und Forschung sowie spartenspezifische KünstlerInnenförderung in Form von Stipendien
– Aufstockung und klare Trennung von Struktur- und Projektförderung
– Einrichtung und/oder Aufstockung mehrjähriger Basis- und Konzeptförderung für alle Kunstsparten sowie für Festivals
– Kulturelle Bildung: Aufstockung der Mittel des Projektfonds Kulturelle Bildung durch den Bildungssenat und den Kultursenat. Der Projektfonds Kulturelle Bildung fördert partizipative Kunstprojekte, die nicht alleine der Bildung zuzuordnen sind. Insofern hat der Berliner Kultursenat die Aufgabe darauf zu achten, dass nach künstlerischen Maßstäben ausgewählt wird und dass der Kunstcharakter der Projekte durch eine anteilige Förderung aus dem Kulturhaushalt zu stärken ist.
– Schaffung und Stärkung von spartenübergreifenden Förderinstrumenten wie:
— Festivalfonds zur Förderung von Festivals, Serien, Reihen, Großausstellungen und Biennalen
— Förderung überregionaler Kooperationen, Gastspiel- und Tourneeförderung
— Bedarfsgerechte Ausbau und Erhöhung des Kofinanzierungsfonds und des Wiederaufnahmefonds
— Erhöhung des Projektfonds Kulturelle Bildung mit 50% Beteiligung des Kultursenats
— Schaffung eines Vermittlungsfonds
Für alle Instrumente muss gelten, dass künstlerische Förderetats nicht durch Verwaltungskosten belastet werden und keine versteckte Regelförderung aus Projektmitteln erfolgen darf.
In allen Instrumenten sind Förderungen gemäß verbindlicher Rahmenbedingungen und Richtwerte für Honorare vorzusehen, ohne die Breite, Anzahl und Diversität aktuell geförderter Projekte zu gefährden.
9) Erweiterung der Zugangsmöglichkeiten zu Kunstförderung
Die formalen Antragsverfahren müssen vereinfacht mit den Abrechnungsanforderungen entbürokratisiert werden.
Antragsstellung sollte sowohl in Deutsch wie auch in Englisch möglich sein.
Alternativen zur rein schriftlichen Antragsstellung gilt es zu entwickeln und zu prüfen.
10) Stärkung der bezirklichen Kulturförderung
Die Bezirke müssen in die Lage versetzt werden, bezirkliche Projekte, Produktion und Präsentation der Freien Szene angemessen infrastrukturell auszustatten und die für die bezirkliche Mikrostruktur wichtige Kunst auskömmlich zu fördern. Besondere Schwerpunkte sollten in bisher kulturell benachteiligten Bezirken und Stadtteilen gesetzt werden.
11) Stärkung der Präsenz künstlerischer Produktionen der Freien Szene in öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten
Die öffentlich-rechtlichen Sender (insbesondere rbb, aber auch Deutschlandradio) haben den Programmauftrag, die kulturelle und künstlerische Vielfalt abzubilden. Dieser Auftrag wird nicht erfüllt, denn die dafür veranschlagten Sendezeiten und die angebotenen Formate reichen bei Weitem nicht aus, der Berliner freien Szene auch nur annähernd gerecht zu werden.